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Hartz IV fern jeder Lebensrealität

SoVD begrüßt Vorschläge zur überfälligen Anhebung der Regelsätze in der Grundsicherung.

Traurige Frau zählt Geldmünzen. Ihr Sohn tröstet sie.
Die realitätsferne Bemessung der Regelsätze im Arbeitslosengeld-II-Bezug und die Sanktionen stürzen viele Betroffene in Armut. Foto: gelmold / Adobe Stock

Immer mehr Menschen sind im Alter arm. Viele von ihnen schon, während sie noch erwerbstätig sind – und dies nicht erst seit Corona. Auch Langzeitarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsformen nehmen zu. Sie stehen in fataler Wechselwirkung mit Verarmungsprozessen. Die alarmierende Entwicklung ist aus Sicht des SoVD unter anderem eine Folge der Hartz-IV-Gesetze. Der Verband begrüßt, dass mit Vorschlägen aus der Politik nun Schwung in die Debatte einkehrt und erneuert seine Forderungen.

Die Regelsätze schrittweise auf gut 600 Euro monatlich zu erhöhen, die Sanktionen ersatzlos streichen. Das ist der Vorschlag, den die Fraktion der Grünen unter dem Titel „Hartz IV überwinden – Garantiesicherung einführen“ eingebracht hat. Die Garantiesicherung soll sowohl Arbeitslosen als auch Geringverdiener*innen zuteilwerden. Eine einfache Erklärung der Antragsteller*innen würde demnach künftig eine Vermögensprüfung ersetzen.

Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plant Änderungen im Sinne der Betroffenen. Ein entsprechender Gesetzentwurf sieht einen dauerhaft erleichterten Zugang zur Grundsicherung vor, wie er momentan aufgrund der Pandemie ermöglicht wird.

Die in der Pandemie geltenden Regeln verlängern

Aktuell sind die Prüfungen zu Mietausgaben und Vermögen ausgesetzt. Die Jobcenter prüfen nicht, wie groß eine Wohnung ist oder ob jemand Ersparnisse bis zu 60.000 Euro auf dem Konto hat; in Familien gelten pro Mitglied weitere, geringere Freibeträge.

Der Bundesarbeitsminister will nun per Gesetz erreichen, dass die wegen Corona geltenden Regelungen stets während der ersten zwei Jahre des ALG II-Bezuges gelten. Die Sanktionen für nicht kooperierende Leistungsbeziehende sollen ebenfalls per Gesetz entschärft werden.

Seit Langem schon kritisiert der SoVD mit Nachdruck die realitätsferne Bemessung der Hartz-IV-Regelsätze und die aktuelle Sanktionspraxis. „Dass nun endlich Bewegung in die mehr als überfällige Anpassung der Hartz-IV-Gesetze kommt, ist ein gutes Signal an die vielen Menschen, die das Vertrauen in den Sozialstaat längst verloren haben“, stellt SoVD-Präsident Adolf Bauer fest. „Insbesondere Ältere, Geringqualifizierte und Menschen mit Behinderung sind Leidtragende der Hartz-IV-Gesetzgebung – Personengruppen, die ohnehin die schlechtesten Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und somit auch nur geringe Chancen auf einen beruflichen Neubeginn.“

Methodische Mängel sorgen für realitätsferne Ergebnisse

An der Hartz-IV-Gesetzgebung bemängelt der SoVD vor allem, dass mit der derzeit angewandten Methode zur Regelbedarfsermittlung eine soziokulturelle Existenzsicherung nicht gewährleistet werden kann: Das Verfahren weist erhebliche Mängel auf und verhindert deshalb eine bedarfsgerechte Ausgestaltung der Regelsätze.

Methodische Schwachstelle ist, dass die Bedarfsermittlung zur Festlegung der Regelsatzhöhen auf Basis der Konsumausgaben der unteren 15 Prozent der Einpersonenhaushalte sowie des unteren Fünftels der Paarhaushalte mit einem Kind erfolgt.

Die Ermittlung orientiert sich demnach an bereits vorhandenen Mangelverhältnissen.

Weil überdies auch weiterhin Ausgaben wie zum Beispiel ein Weihnachtsbaum, Haustiere oder Zimmerpflanzen als „nicht regelbedarfsrelevant“ aus dem Regelsatz herausgestrichen werden, sinkt das Niveau der zugrunde gelegten Bedarfe noch weiter. „Die realitätsferne Bemessung der Regelsätze befördert Millionen Betroffene in prekäre Lebensverhältnisse“, stellt SoVD-Vizepräsidentin Prof. Dr. Ursula Engelen-Kefer fest.

Der SoVD setzt sich deshalb für eine Sachverständigenkommission ein, die konkrete Vorschläge für die Ermittlung des soziokulturellen Existenzminimums auf einer adäquateren wissenschaftlicheren Grundlage erarbeitet.

SoVD begrüßt Klarstellung zu Sanktionsregelungen

Zu reformieren sind aus SoVD-Sicht ebenso dringend die geltenden Sanktionsregelungen. Das hat der Verband wiederholt in die Diskussion eingebracht. Dabei müsse es vor allem gelten, das Existenzminimum unbedingt zu gewährleisten; außergewöhnliche Härten sollten Grundsicherungsbeziehenden selbst bei Pflichtverletzungen nicht drohen, so die Forderung des SoVD. Er schlägt stattdessen vor: „Wenn eine Kürzung des Regelbedarfs unumgänglich ist, muss der Kürzungsbetrag durch Sachleistungen wie etwa Lebensmittelgutscheine ausgeglichen werden.“

Der SoVD begrüßt insofern als Schritt in die richtige Richtung die jetzt diskutierte Klarstellung zu den Sanktionsregelungen, wonach eine monatliche Minderung als Sanktion 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs nicht überschreiten darf.

Außerdem mahnt der SoVD eindringlich, die Benachteiligung von jungen Menschen unter 25 Jahren zu beseitigen. „Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, dass Jugendliche und junge Erwachsene gegenüber anderen Leistungsbeziehenden schlechtergestellt werden“, so Bauer. „Wir dürfen den Start in das Berufsleben nicht künstlich erschweren.

Diskussion um Aussetzung von Vermögensprüfung

Das im Konzept von Hubertus Heil angesprochene Ziel, die Grundsicherung für Arbeitsuchende im SGB II (Hartz IV) auf Dauer zugänglicher und unkomplizierter zu machen, wird derzeit intensiv diskutiert.

Insbesondere das Vorhaben, im Rahmen eines vorübergehenden Leistungsbezuges auf die Prüfung „nicht erheblichen“ Vermögens zu verzichten, sorgt dabei für Kontroversen.